Fachtagung pro mente Wien 2020
Beschämt & Scham
Wurde Scham in psychotherapeutischen Kreisen lange gemieden, erscheint das starke, ungeliebte Gefühl momentan einen regelrechten „Boom“ zu erleben. Ausgelöst durch die Weiterentwicklung traumatherapeutischer Verfahren und aktuelle neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse ist Scham in den letzten Jahren in psychosozial interessierten Kreisen vermehrt in das Blickfeld gerückt. In einer Zeit, in der mediale und öffentliche Beschämung in Castingshows oder über soziale Medien an der Tagesordnung steht, hat es sich pro mente Wien zum Ziel gesetzt, einen Raum zu öffnen, um Scham multi-perspektivisch und interdisziplinär zu betrachten.
Scham, als soziales, intersubjektives Phänomen bildet sich in den ersten Beziehungserfahrungen eines Menschen heraus; zuerst als sinnvolle Anpassungsfunktion an eine Gemeinschaft und zum Zweck der Selbstkontrolle. Erleben Kinder im Laufe ihres Aufwachsens jedoch Beschämung im überzogenem Ausmaß kann dies zur Entwicklung „toxischer Scham“ führen. Nicht zuletzt Stephan Marks fordert in seinem Buch „Scham – die tabuisierte Emotion“ zur differenzierten Verwendung von Sprache auf, denn Scham kennt vielfältigste Ausprägungsformen. „Ich schäme mich“ ist eben nicht gleich „Ich wurde beschämt“.
Scham im therapeutischen Setting zu erkennen und zuzulassen, ist eine der großen Herausforderungen jedes Prozesses. Scham sitzt zwar wie ein 300 kg-Gorilla mit im Therapieraum (Peter Levine), trotzdem versteckt sie sich allzu oft hinter anderen Gefühlen, wie Angst oder Wut. Wer sich schämt, tut vieles, um die eigene Verletzlichkeit nicht zu spüren. Scham kann lebensbedrohlich sein. Letztlich ist es gerade nicht das scheinbar befreiende Sich-Öffnen in sozialen Medien, das heilsam wirkt, sondern der von Wohlwollen und Empathie getragene Austausch zwischen realen Menschen, der aus Selbstbeschämung Selbstliebe werden lässt.
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Einige Impressionen der Fachtagung
Fotos: Klaus Ranger